100 Meilen von Hamburg nach Bremen auf dem Radfernweg
(21.10.2011 / 22.10.2011)
Schon kurz nach meiner Online-Anmeldung bei Carsten Mattejiet in Lilienthal, dem Veranstalter dieses nicht alltäglichen Ultra-Ereignisses, kamen mir Zweifel, ob das eine gute Entscheidung war. War meine Form überhaupt gut genug? Das Wetter könnte um diese Jahreszeit säuisch sein! Die meiste Zeit wird es dunkel sein! Und kann man die Markierungen des Radfernweges Hamburg-Bremen, wenn vorhanden, überhaupt erkennen?
Ich habe die Entscheidung so lange verdrängt, bis ich eine Woche vor dem Start eine mail der Hamburger Morgenpost bekam mit der Anfrage, eine Geschichte über meine Teilnahme als „Hamburger“ am Hanse 100 machen zu wollen. Carsten mailte mir lakonisch, er hätte der Mopo meine mail-Adresse gegeben. Jetzt war es passiert. Ich konnte nicht mehr zurück und mußte teilnehmen, Redakteur und Fotograf besuchten Gunla und mich zu hause in Hittfeld, und aufgrund des großen Artikels am Tag des Starts mußte ich auch finishen!
Natürlich war ich im Grunde gut vorbereitet, hatte als lang-, mittel- und kurzfristige Grundlagen aus diesem Jahr den 100Meiler im März auf Wangerooge, eine 5er Osterserie bei Carsten in Lilienthal, zwei 24h-Läufe in Delmenhorst und Dettenhausen im Juni und Juli, zweimal 100km Thüringen Ultra und Leipzig im Juli und August, den Baltic-run im Juli, und schließlich Ingo Schulzes Horb-Berlin vom 4.-16.September. Danach zum Auslaufen einige Doppeldecker. Das sollte doch reichen! Diesesmal wollte ich nicht den Fehler vom März wiederholen, wo ich nach einem Büroarbeitstag in Hamburg die Bahn- und Schiffsreise nach Wangerooge antrat, am selben abend um 22 Uhr startete und schon nach einigen Stunden „Gespenster“ sah.
Deshalb diesmal: Donnerstag früh nach hause, früh ins Bett. Freitag frei, nachmittags ein paar Stunden schlafen. Am 21. abends gegen 21 Uhr war der vereinbarte Treffpunkt im Hamburger Hauptbahnhof, im Fußgängertunnel zur Einkaufsmeile Mönckebergstraße. Es gab letzte Instruktionen, Warnweste und Streckenplan. Weitere Pflichtausrüstung: Mobiltelefon und ein paar Euro. Die Taschen für das Ziel in Lilienthal und den Haupt-Verpflegungspunkt in Zeven wurden abgegeben, und das Abenteuer wurde um 22 Uhr gestartet.
Bis Harburg zum ersten Kontroll- und Verpflegungspunkt sind die Markierungen des Radweges Hamburg-Bremen sehr lückenhaft, und Carsten versuchte redlich, das Teilnehmerfeld von 29 Startern bis dorthin zusammenzuhalten, zunächst über die Norderelbbrücken, durch Wilhelmsburg, über die Süderelbe auf der historischen alten Elbbrücke und dann durch Harburg bis zum Schwarzenberg, 1. Checkpoint. Jetzt gab es kein halten mehr und das Feld zog sich schnell auseinander. Es war nicht so leicht, die Strecke zu finden, an wichtigen Kreuzungen gab es oft keine eindeutige Markierung des Radfernweges. Einige hatten die Route auf GPS, das half auch den Laufkollegen.
Die Nacht war klar, kalt und ….dunkel, fast Neumond, im Lichtkegel der Stirnlampen durch die Harburger Berge, dann Landstraßen bis Verpflegung 2 in Sottorf, wir waren zu diesem Zeitpunkt so ziemlich die letzten. In kleiner Gruppe weiter, Waldwege, abgelegene Straßen, Kontrolle 3 in Hollenstedt. Dann ein Ratespiel, die Markierung zeigt nach links, Olaf Häsler bzw. sein GPS zeigt geradeaus auf die Alternativroute, an der auch Checkpoint 4 Hollinde liegt. Eigentlich sollte es hier heiße Brühe geben, hmmm, lecker……aber…. hat von euch schon jemand mal nachts bei 0° kalte, mit lauwarmem Wasser auf ca. 4° C verdünnte Brühe getrunken? Uuaaah!
Unverzagt tragen meine neuen Treter mich nach Heidenau, der Morgen dämmert uns, vor der Station 5 an der Wassermühle in Sittensen stürzt ein Radbegleiter auf der Holzbrücke über die Oste, Glatteis!! Dann Klein Meckelsen (hier habe ich in den 70er Jahren am Volkslauf teilgenommen), die Sonne ist aufgegangen. Inzwischen laufe ich wieder zusammen mit Olaf, es geht durch Heeslingen und dann nach 91 km um ca. 11 Uhr (ich weiß es nicht mehr so genau…) die „Große Verpflegungsstation“ 6 in einem Gasthof in Zeven, hier gab es auch Nudeln.
Ich ziehe auch noch frische Sachen an und bin jetzt, mal wieder alleine laufend, bei Sonnenschein und guter Laune, auf dem Weg nach Wistedt. Doch Vorsicht! 25 km weiter östlich gibt es noch ein …….Wistedt! Später hörte ich auf der Strecke, daß zwei oder drei Mitläufer wohl dort gestrandet sind…. Ich aber erreiche Nartum, die Top-Verpflegungsadresse Nr. 7 an einem „Melkhus“! Für Südlichter: „Milchhaus“, gibt´s im Norden öfter, meist kleines Fachwerkhäuschen, Bauern bieten für Radfahrer, manchmal sogar für 100-Meilen-Läufer, Kaffee, Kuchen und Milchprodukte an. Heute gibt’s das hier ganz umsonst. Ich wähle einen Obst-Sahnekuchen zum Pott Kaffee.
Zu allem Überfluß hat Helmut Rosieka hier mit seinem Wohnmobil, in bewährter Horb-Berlin-Manier, eine vorbildliche Station eingerichtet. Es geht unbeirrt weiter, in den letzten Stunden überholte ich etliche (Leidens?)-Genossen, ich weiß nicht wieviele, manchmal unbewußt an der Verpflegung. Ein Radfahrer kommt entgegen, ich halte ihn zuerst für Olaf, es ist aber sein Bruder, der jetzt als rollender Streckenposten die Läufer begleitet.
An der 8. Kontrolle hat Olafs Frau eine Verpflegung aufgebaut, mit Hühnersuppe, das ist gut! Jetzt ist auch Olaf persönlich wieder da und unser 2er Team kämpft sich weiter vor zum Check 9 in Ottersberg. Inzwischen, völlig überraschend, kommt das Abendrot und es wird …..schon wieder dunkel! Jetzt wird’s hart, wir gehen manchmal, verlaufen uns kurz, die 18 km zur Kontrolle Nr. 10 bei km 149 auf dem Deich kurz vor Borgfeld erscheinen endlos, Wind kommt auf, weiter vor und hinter uns sehen wir Lichtpunkte im Dunkel tanzen.
Jetzt sind wir plötzlich eine schlagkräftige 4er-Gruppe mit Fahrradbegleiter, die beschließt, sich gegenseitig aufzubauen und das Ziel gemeinsam zu erreichen. Vom Lehester Deich laufen und marschieren wir eine Schleife über Bremer Territorium und dann das letzte Stück auf Carsten Mattejiets wohlbekannter Kreuzdeich-Marathonstrecke entlang der Wümme nach Lilienthal, wo wir, das sind Olaf Häsler, Norbert Ebbert, Bernd Rohrmann und ich, nach 25 Stunden und 29 Minuten glücklich die Ziellinie überqueren und gemeinsam den 9. Platz belegen.
Es ist 23:30 Uhr am Sonnabend, und in dem großen Zelt ist es schön warm und es gibt was zu Essen und zu trinken. Ich köpfe zwei mitgebrachte Becks-Biere und labe mich an Alexandras Curry-Gulasch mit Reis. Ihr Mann Michael bringt mich dann mit einer erneuten Fuhre von Finishern zur Übernachtung in die Jugendherberge Worpswede. Inzwischen ist es so gegen 1 Uhr am Sonntag morgen. Mit der letzten Läuferin um 6 Uhr werden dann schließlich 20 Ultras gefinished haben.
Im Namen aller Teilnehmer gilt mein Dank den Veranstaltern und allen Helfern am Start, auf der Strecke und im Ziel. Man muß sich bewußt sein, daß z. B. allein der letzte Verpflegungsposten geschätzte 14 Stunden aufrecht erhalten werden mußte! Ohne Helfer geht nichts! Ich warte auf jeden Fall nicht als einziger gespannt auf eine Fortsetzung des Hanse 100!
(Dietrich Eberle)